
Verfolgt, vertrieben, geduldet: Mennonitische Migrationen
In der Migrationsforschung unterscheidet man zwischen Push- und Pull-Faktoren. Push-Faktoren sind diejenigen Bedingungen im Herkunftsland, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen; Pull-Faktoren sind diejenigen Bedingungen, die ein Aufnahmeland attraktiv für die Migranten machen. Auch bei den Täufern bzw. Mennoniten lassen sich diese Faktoren beobachten. Von Beginn an von den Obrigkeiten verfolgt und ausgewiesen, suchten die Täufer bzw. Mennoniten eine neue Heimat, in der ihnen Schutz und weitgehend freie Ausübung ihrer religiösen Prinzipien wie Bekenntnistaufe oder Eides- und Kriegsdienstverweigerung gewährt wurden. Manche Herrscher waren – gerade nach dem großen Bevölkerungsverlust durch den Dreißigjährigen Krieg – bereit, den Glaubensflüchtlingen die Möglichkeit einzuräumen, ihren Glauben als die „Stillen im Lande“ zu leben, weil sie sich davon wirtschaftlichen Aufschwung erhofften. Sie versprachen den Neuankömmlingen zum Beispiel, Land pachten oder Handel treiben zu können, eigene Gottesdienste zu halten oder Schulen zu betreiben. Vom Wehrdienst wurden sie freigestellt.
Diese von den frühmodernen Territorialstaaten gewährten Privilegien mussten jedoch durch Geldzahlungen und Verzicht auf öffentliche Wirksamkeit erkauft werden. Die Duldung der Flüchtlinge konnte jederzeit wieder rückgängig gemacht werden. Die Toleranz war eine Sache des fürstlichen Ermessens.
Ein Beispiel: Die so genannte „Mennisten-Konzession“ des Kurfürsten Karl I. Ludwig von der Pfalz vom 4. August 1664 gewährte den aus der Schweiz eingewanderten Täufern/Mennoniten freie Religionsausübung. Für die Befreiung vom Dienst an der Waffe mussten sie jedoch ein Schutzgeld bezahlen. Bereits um 1660 hatten Täufer aus dem Emmental das Gut Ibersheim von der kurpfälzischen Hofkammer als Erbbestand gepachtet. Die Konzession lautet:
Lieber Getreuer! Euch ist bekannt, dass sich seit dem langwierigen Krieg, der zur Verwüstung unseres Kurfürstentums geführt hat, bei uns auch eine besondere Art von Leuten eingefunden hat, die man Mennisten nennt. Sie halten ihre Versammlungen von den anderen im Reich üblichen Religionen getrennt, enthalten sich des Gewehrs und aller Kriegshändel und haben auch sonst die eine oder andere Sonderbarkeit, nach denen wir uns aber nicht erkundigen wollen, weil wir Menschen und Untertanen, die das verödete Land wieder aufbauen und instand setzen, dringend brauchen. Weil wir nun entschlossen sind, diese Mennisten und andere, die zu ihnen gerechnet werden, bei uns zu dulden – allerdings nur in beschränktem Maße – so befehlen wir, dass Ihr ein Verzeichnis dieser Personen anlegt und anordnet, dass sie Gottesdienste halten dürfen, wenn es in einem Dorf fünf oder mehr Haushalte gibt; allerdings dürfen sich nicht mehr als 20 Personen versammeln. Sie sollen von den anderen Religionen niemanden zu sich hereinlassen, nichts Gotteslästerliches oder Aufrührerisches oder der Obrigkeit Abträgliches reden oder tun und müssen sich des Wiedertaufens ganz enthalten. Für diese ihnen gestattete Freiheit soll jeder Hauswirt ein Recognitionsgeld von zunächst drei Gulden zahlen, später von sechs Gulden, solange diese Konzession gilt. Personen, die sich bei Euch nicht angemeldet und nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden, soll der Aufenthalt in unserem Kurfürstentum nicht gestattet werden.
Wenige Jahre nach der „Mennisten-Konzession“, um 1700, lebten in der Kurpfalz etwa 250 mennonitische Familien, vor allem als Pächter größerer Güter. Ihre Ansiedlung wurde auch von niederländischen Mennoniten unterstützt, die einen Hilfsfonds gegründet hatten, um ihren Glaubensgeschwistern unter die Arme zu greifen. Als 1709 im Kanton Bern wieder schwere Verfolgungen der Täufer einsetzten, leiteten die Niederländer eine Hilfsaktion ein, um neue Siedlungsgebiete für die Vertriebenen zu finden. Einige kamen in der Kurpfalz unter, andere in den Niederlanden, wieder andere zogen weiter nach Pennsylvania.
Ein zweites Beispiel: 1601 erlaubten die Grafen von Schauenburg den seit Ende des 16. Jahrhunderts aus den katholischen Niederlanden geflohenen Mennoniten, sich auf der „Großen Freiheit“ in Altona anzusiedeln. Die Grafen und ihre Nachfolger betrachteten die Mennoniten nicht als reichsrechtlich geächtete Ketzer und Aufrührer, sondern als Wirtschaftsakteure, von deren Handelsbeziehungen man profitieren wollte. Die Mennoniten erhielten das Recht, unternehmerisch tätig zu sein, Handel zu treiben und eigene Gottesdienste zu halten, mussten aber Steuern zahlen und auf Mission unter der lutherischen Mehrheitsgesellschaft verzichten.
Und ein drittes Beispiel: Kaiserin Katharina II. von Russland wollte neu erworbene Regionen ihres Reiches bevölkern und wirtschaftlich erschließen und warb deshalb ausländische Siedler an. Sie versprach ihnen Land, die freie Ausübung ihrer Religion, die Befreiung vom Militärdienst und Selbstverwaltung auf lokaler Ebene. Zudem sicherte sie den Siedlern finanzielle Starthilfen sowie 30 Jahre Steuerfreiheit zu. Bereits in den ersten fünf Jahren nach dem Manifest von 1763 kamen über 30.000 Menschen nach Russland, überwiegend aus Deutschland. Mennonitische Einwanderer aus Preußen ließen sich ab 1789 am Dnjepr nieder und gründeten dort die Kolonie Chortitza.