Bildungsaufbrüche am Ende des 19. Jahrhunderts
Das prächtige Gebäude der mennonitischen Mädchenschule in Chortitza (Ukraine) wurde 1904 erbaut. Im Erdgeschoss befanden sich vier Klassenzimmer, ein Physiklabor, ein Lehrerzimmer und Lehrerwohnungen. Eine große Aula nahm das Obergeschoss ein.
Ermöglicht wurde der Bau durch eine großzügige Spende von Katharina Wollmann, der Ehefrau des mennonitischen Unternehmers Andreas Wollmann, die 10.000 Rubel gab. Die Mädchenschule, eine Sekundarschule, war 1895 als private Initiative gegründet worden. Finanzielle Unterstützung kam von mennonitischen Industriellen aus Chortitza und Jekaterinoslaw. Die Mädchen wurden nach Abschluss der Volksschule mit etwa 11 Jahren aufgenommen und durchliefen vier Klassen. In der Schule wurden, hauptsächlich durch weibliche Lehrkräfte, folgende Fächer unterrichtet: Religion, Russisch, Deutsch, Mathematik, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Kunst, Schönschrift, Musik und Handarbeit.
Die Schule wurde 1895 mit 17 Mädchen eröffnet und hatte 1913 bereits 116 Schülerinnen. Bedürftige Mädchen und Töchter von Lehrern und Geistlichen konnten die Schule besuchen, ohne Schulgeld zahlen zu müssen. Viele der Absolventinnen ließen sich nach ihrem erfolgreichen Schulabschluss zur Lehrerin ausbilden. Während ihres 25-jährigen Bestehens besuchten etwa 600 Mädchen die Schule. Sie wurde 1920 in eine koedukative Schule umgewandelt.
Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz. Es ist ein Zeugnis der reichen Kultur der mennonitischen Kolonien am Dnjepr, die nach der Machtergreifung der Bolschewiki ausgelöscht wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg lebten etwa 75.000 Mennoniten auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Hier befanden sich auch die wichtigsten mennonitischen Industrie- und Geschäftszentren, Bildungseinrichtungen sowie religiöse und kulturelle Zentren. Zwischen 1789 und 1840 waren Mennoniten, vor allem aus Preußen, in das Gebiet eingewandert.
Auch in der Pfalz gab es Ende des 19. Jahrhunderts eine mennonitische Schulgründung. Der Prediger und Landwirt Michael Löwenberg vom Weierhof, der auch Leiter der Weierhöfer Volksschule war, hatte die Vision, eine Ausbildungsstätte für mennonitische Prediger zu gründen. Er richtete 1867 eine Höhere Schule ein, in der allgemein bildende Fächer, aber auch Buchführung und Landwirtschaft unterrichtet wurden. 1869 konnte dank vieler Spenden aus mennonitischen Gemeinden ein neues Schulgebäude bezogen werden. Löwenbergs Traum, die Schule zu einem Predigerseminar weiterzuentwickeln, scheiterte jedoch an der mangelnden Unterstützung durch die deutschen Mennoniten. Bis 1936 blieb die Schule, die sich inzwischen zur Internatsschule weiterentwickelt hatte und in der Region hohes Ansehen genoss, in mennonitischer Trägerschaft. Dann wurde die „Realanstalt am Donnersberg“ zu einem nationalsozialistischen Mustergymnasium erweitert. 1941 übernahm das Deutsche Reich die „Gau-Oberschule Donnersberg“ als Nationalpolitische Erziehungsanstalt (NAPOLA). 1959 wurde die Schule als naturwissenschaftliches Gymnasium wieder eröffnet.
Bis heute haben die deutschen Mennoniten keine eigene Ausbildungsstätte für die theologische Ausbildung ihrer Pastorinnen und Pastoren. Wer mennonitische Theologie studieren will, muss in die Schweiz (Bildungszentrum Bienenberg), in die Niederlande (Doopsgezind Seminarium an der Vrije Universiteit Amsterdam) oder in die USA bzw. nach Kanada gehen, wo es mehrere theologische Hochschulen gibt. 2006 wurde die Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg eingerichtet, die sich der Erforschung der Friedenstheologie und -ethik in der Tradition der historischen Friedenskirchen widmet.