Hermann von beckerath

Aufbruch für Demokratie und Nationalstaat

Hermann von Beckerath (1801−1870), Mennonit und Bankier aus Krefeld, war als Parlamentarier mit vielen anderen am demokratischen Aufbruch in der Mitte des 19. Jahrhunderts beteiligt.

Als sich am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche die Deutsche Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung traf, waren unter den gewählten Abgeordneten nicht nur Hermann von Beckerath, sondern auch zwei weitere Mennoniten: der aus Emden stammende Reeder Ysaak Brons (1802−1886) und der Jurist Carl Emanuel Groß (1800-1873) aus Leer. Brons und Groß waren als Bürger des Königreichs Hannover in das erste gesamtdeutsche Parlament gewählt worden, Beckerath stammte aus dem zu Preußen gehörenden Rheinland. Sie waren übrigens nicht die einzigen mennonitischen Parlamentarier dieser Zeit. Der aus der Pfalz stammende Peter Eymann (1789-1855) wurde z.B. 1849 für den Bezirk Kaiserslautern-Kirchheimbolanden in den Bayerischen Landtag gewählt.

Beckerath, Brons und Groß schlossen sich der Casino-Fraktion an, einer Gruppe von Abgeordneten, die sich in den Räumlichkeiten der Frankfurter Casino-Gesellschaft am Roßmarkt 10 traf. Das Casino war der konservativ-liberalen Mitte zuzurechnen und war die größte und einflussreichste Fraktion innerhalb der Deutschen Nationalversammlung. In der Frage nach dem territorialen Umfang des deutschen Nationalstaates trat das Casino für die kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung ein.

Paulskirche casinofraktion. Radierung von einer Gruppe Männern

Weitere politische Ziele waren eine konstitutionelle Monarchie, ein Wahlrecht, das nur dem Besitzbürgertum politische Mitbestimmungsrechte einräumen sollte, sowie eine bundesstaatliche Ordnung des Reiches mit starken Kompetenzen der Zentralgewalt.

Beckerath wurde in den Verfassungsausschuss der Deutschen Nationalversammlung gewählt, dessen erste und wichtigste Aufgabe die Formulierung der Grundrechte war. Die im Dezember 1848 verabschiedeten Grundrechte sind ein Meilenstein in der deutschen Demokratiegeschichte und Vorbild für die im Grundgesetz von 1949 verankerten Grundrechte.

Was die Glaubens- und Gewissensfreiheit angeht, argumentierte Hermann von Beckerath in den Debatten der Deutschen Nationalversammlung allerdings nicht im Sinne des täuferischen Erbes. Beckerath lehnte es ab, ein Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes in der Verfassung zu verankern. Die preußischen Militärreformen 1813/14 und die damit verbundene Einführung der allgemeinen Wehrpflicht hatte er befürwortet. Er verstand die Bewaffnung der Bürger als „unverzichtbares Attribut des Staatsbürgers“, aus dem er die Forderung nach politischen Mitbestimmungsrechten der Bürger im Staat ableitete. Da er − wie auch Ysaak Brons − die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Mennoniten und ihre Integration in die Mehrheitsgesellschaft begrüßte, war er nicht bereit, Ausnahmeregelungen für Mennoniten zu akzeptieren. Die Erklärung der Grundrechte sollte nicht durch solche Ausnahmeregelungen in ihrer universalen Bedeutung abgeschwächt werden.

Und so war es nicht den mennonitischen Abgeordneten, sondern Heinrich Wilhelm Gottlieb Martens zu verdanken, einem evangelischen Justizbeamten und Abgeordneten aus Danzig, dass in der Paulskirche dann doch noch Sonderregelungen für Mennoniten zur Sprache kamen. Martens gehörte wie die drei mennonitischen Parlamentarier dem Casino an und war Mitglied im „Ausschuss für Volksbewaffnung und Heerwesen“. Als Danziger Abgeordneter war Martens mit den Glaubensüberzeugungen der westpreußischen Mennoniten vertraut. Er setzte sich in den Debatten der Nationalversammlung für einen Ausgleich zwischen dem Prinzip der Gewissensfreiheit und dem Prinzip der staatsbürgerlichen Gleichheit ein. Er wollte mögliche Ausnahmeregelungen im Einzelfall in der Verfassung verankern, konnte für seinen Antrag jedoch nicht die Mehrheit der Parlamentarier gewinnen. Hermann von Beckerath lehnte den Antrag seines Fraktionskollegen mit der Begründung ab, dass er an überholte Verhältnisse anknüpfe und die Mennoniten im Rheinland sowieso, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Wehrdienst leisteten. Dessen Verweigerung gehöre nicht zum Kernbestand mennonitischer Überzeugungen. Seine kurze Rede schloss er mit der prinzipiellen Erwägung, „daß es mit dem allgemeinen Wohle des Vaterlands im Widerspruch stehe, wenn wir in die Grundrechte aufnehmen, daß eine Ausnahme in der Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten statthaft sei, aus welchem Grunde sie auch gemacht werden sollte“.1

Es war also ganz in Beckeraths Sinn, dass die Nationalversammlung festhielt, dass die Gewissensfreiheit (Artikel 14) ein Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht einschließt, weder ein individuelles noch ein konfessionsgebundenes. Sowohl die westpreußischen als auch die badischen Mennoniten wandten sich darauf mit Petitionen an die Nationalversammlung, denen jedoch kein Erfolg beschieden war. Die Petition der badischen Mennoniten vom 19. September 1848 appellierte an die Abgeordneten der Paulskirche, die Mennoniten von der allgemeinen Wehrpflicht auszunehmen. Als Gegenleistung boten die badischen Mennoniten eine zusätzliche Steuer oder die Stellung eines Ersatzmannes an. Ihre Petition begründeten sie mit der mennonitischen Tradition und der „Reinheit und Einfachheit des apostolischen Urchristentums“. Ihre Taufe habe sie zur Wehrlosigkeit verpflichtet.

Dass mennonitische Liberale großbürgerlicher Prägung als Abgeordnete des ersten gesamtdeutschen Parlaments an den großen Zukunftsaufgaben der Paulskirche mitwirkten, zeigt auf eindrückliche Weise, dass Mennoniten im 19. Jahrhundert begannen, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Dabei waren sie auch bereit, im Namen der staatsbürgerlichen Gleichheit auf in ihren Augen überkommene Privilegierungen zu verzichten, an denen andere jedoch noch festhalten wollten. Es blieb dem Grundgesetz der Bundesrepublik vorbehalten, ein Recht auf Wehrdienstverweigerung als Ausdruck der Gewissensfreiheit festzuhalten.

1 Ulrich Hettinger, S. 60

Literatur:

Ulrich Hettinger: Hermann von Beckerath. Ein preußischer Patriot und rheinischer Liberaler, Krefeld 2010

Rudolf Muhs: „Das schöne Erbe der frommen Väter“, in: Mennonitische Geschichtsblätter, 1985, S. 85 ff.