Geschwister über Kontinente hinweg: Mennoniten weltweit
Heute gibt es weltweit etwa 2 Millionen Mennoniten, die sich unter dem Dach der Mennonitischen Weltkonferenz zusammenfinden. Teilweise sind sie Nachfahren europäischer Mennoniten, die sich durch Wanderungsbewegungen über die Welt ausbreiteten (z.B. in USA, Kanada, Südamerika), teils gehören sie jungen Kirchen an, die durch Mission entstanden sind (z.B. in Indonesien, Indien, Kongo, Äthiopien, Simbabwe).
In der frühen Neuzeit fanden Mennoniten meist nur am Rand des Reiches auf den Territorien kleiner Herrscher Duldung, vor allem im Südwesten des deutschen Sprachraums (Schweiz, Elsaß, Baden und Pfalz), von wo sie seit dem 18. Jh. in die USA auswanderten. Schon im 16. Jh. sind Mennoniten aus den Niederlanden an den Unterlauf der Weichsel und nach Danzig und Elbing gezogen. Bis 1945 gab es hier die größte Konzentration an Mennoniten im deutschen Sprachraum, zwei Drittel (etwa 12.000) lebten hier. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. sind Mennoniten von dort in den Süden Russlands gezogen, wo Anfang des 20. Jh. rund 120.000 Mennoniten lebten. Seit 1874 wanderten russlanddeutsche Mennoniten nach Kanada aus, was sich nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg verstärkte. Von Kanada aus sind in den 1920er Jahren mennonitische Kolonien im Chaco Paraguays entstanden. In den letzten Jahrzehnten sind zigtausende Nachfahren russlanddeutscher Mennoniten, die zur Stalinzeit aus den angestammten Siedlungsgebieten nach Sibirien zwangsumgesiedelt worden waren, als Spätaussiedler nach Deutschland zurückgekehrt. Sie haben meist eigene Gemeinden gebildet, die mit den alteingesessenen Mennonitengemeinden wenig Berührung haben.
Bereits im 19. Jh. begannen niederländische Mennoniten mit Missionsarbeit in Indonesien, nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden vor allem in Afrika mennonitische Kirchen als Ergebnis nordamerikanischer Mission. Heute stellen diese Kirchen zahlenmäßig die Mehrheit, die „ethnischen Mennoniten“ (Nachfahren europäischer Mennoniten früherer Jahrhunderte) sind in der Minderzahl. Weltweit steigt die Zahl der Mennoniten, allein in Europa ist sie seit vielen Jahrzehnten rückläufig.
Mennoniten sind keine Konfessionskirche und haben sich in ihrer Geschichte sehr unterschiedlich entwickelt. Es gibt unter ihnen eine große Spannbreite an unterschiedlichen Traditionen. Trotzdem sind sie durch ein intensives Zusammengehörigkeitsgefühl miteinander verbunden und arbeiten in der Mennonitischen Weltkonferenz zusammen.
Zur Geschichte der Mennonitischen Weltkonferenz
Anlässlich des 400. Jahrestages der ersten Glaubenstaufe in Zürich lud Christian Neff, Pastor der Mennonitengemeinde Weierhof und Täuferforscher, Mennoniten aus Europa und Nordamerika 1925 zu einer Gedenkveranstaltung nach Basel und Zürich ein. Diese erste Zusammenkunft geschah zu einer Zeit, in der sich die Täuferforschung im Aufbruch befand und Wege zur Besinnung auf die gemeinsamen Wurzeln und ein mennonitisches Profil gesucht wurden. Doch von einer „Weltkonferenz“ konnte man 1925 noch nicht sprechen. Unter den etwa 100 Teilnehmern befand sich einer aus Amerika. Und weil die zwei Teilnehmer aus der Sowjetunion nicht in die Schweiz einreisen durften, traf man sich auf dem Badischen Bahnhof in Basel. Doch die Mennoniten aus der Sowjetunion brachten den Stein ins Rollen: Sie überreichten einen „Vorschlag zur Gründung eines altmennonitischen Verbandes“ mit einem Zentralbüro, einer Zentralkasse und gemeinsamen Delegiertenversammlungen bei gleichzeitiger „Wahrung der Besonderheiten und der vollständigen Unabhängigkeit aller Richtungen und Schattierungen innerhalb des Mennonitentums“. Bis heute sind es diese beiden Pole, die den Charakter der globalen mennonitischen Gemeinschaft bestimmen: Einerseits wird die Autonomie der nationalen Kirchen respektiert, andererseits sollen die Beziehungen untereinander gestärkt werden.
Christian Neff leitete auch die beiden folgenden Weltkonferenzen in Danzig (1930) und in Amsterdam (1936), zu denen die Teilnehmer meist aus der näheren Umgebung kamen. Die Zahl der nicht-europäischen Teilnehmer stieg nur langsam: 1930, in Danzig, waren es sechs, 1936, in Amsterdam, 15. In Danzig ging es vor allem um die Organisation der Hilfe für Mennoniten aus der Sowjetunion, deren Ausreise und Umsiedlung. Amsterdam wurde als Tagungsort gewählt, um an Menno Simons‘ „Ausgang aus dem Papsttum“ 1536 zu erinnern. Doch auch der Zweite Weltkrieg warf seine Schatten voraus: Im Anschluss an die Konferenz gründeten etwa 20 Mennoniten aus den Niederlanden und Nordamerika in Fredeshiem das Internationale Mennonitische Friedenskomitee und verfassten ein friedenstheologisches Manifest, das allen mennonitischen Gemeinden weiterempfohlen wurde.
Die 4. Konferenz in Goshen und North Newton/USA stand 1948, drei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, unter dem Thema „Bruderschaft und Versöhnung“. 27 Europäer folgten der Einladung der Amerikaner. Erstmals war auch ein Vertreter der Mennoniten in Indien dabei. Die europäische Delegation mit Teilnehmern aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz ließ man auf einem Schiff gemeinsam anreisen, die Reisekosten übernahm das Mennonite Central Committee. Auf dieser Ozeanfahrt kam es zu teils hitzigen, teils versöhnlichen Gesprächen zwischen den ehemals verfeindeten Nationen. Emil Händiges, Delegierter der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, konnte sich auf der Versammlung nicht dazu verstehen, ein offizielles Schuldbekenntnis zur Verstrickung der deutschen Mennoniten in das NS-Regime abzulegen. Der Krefelder Pastor Dirk Cattepoel bekannte jedoch das Versagen der deutschen Mennoniten und bat um Vergebung – zwar keine offizielle Stellungnahme, aber eine bedeutsame Geste.
Mit der 9. Konferenz in Curitiba 1972 wurde erstmals ein Versammlungsort im Globalen Süden gewählt – sichtbarer Ausdruck für die Verschiebung des Schwerpunkts hin zu den „neuen“ mennonitischen Gemeinschaften. Immer mehr Mennoniten aus Lateinamerika, Asien und Afrika prägten nun das Bild der Versammlungen, und damit rückten auch neue Themen in den Fokus der Weltkonferenz. In der Abschlussbotschaft von Curitiba heißt es: „Als Nachfolger Jesu Christi erheben wir unsere prophetische Stimme gegen jeden Gebrauch von gewaltsamer Unterdrückung, Verfolgung und ungerechter Einkerkerung, Folterung und Hinrichtung, besonders aus politischen Gründen. Wir sind gegen Rassismus und gegen jede andere Art der Diskriminierung, ob nun in unseren Gemeinden oder in der Gesellschaft insgesamt.“
An der 10. Konferenz in Wichita/USA (1978) mit Besuchern aus 44 Ländern konnte erstmals eine Delegation von Mennoniten aus der Sowjetunion teilnehmen. Und erstmals leitete mit Milton Belete aus Äthiopien ein Mennonit aus dem Globalen Süden als Präsident die Versammlung. Das Thema „Das Reich Gottes in einer sich ändernden Welt“ wurde in einem umfangreichen Programm entfaltet.
Die 11. Konferenz in Straßburg (1984) vermittelte konkrete Impulse zur mennonitischen Friedenstheologie. Auf den Vortrag des mennonitischen Theologen Ron Sider (1939-2022) zum Thema „God’s People Reconciling“ (hier nachlesen: God’s People Reconciling | Community Peacemaker Teams) folgte die Gründung der Christian Peacemaker Teams (heute: Community Peacemaker Teams), die sich weltweit vor Ort für Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen einsetzen.
Die 13. Vollversammlung wurde 1997 in Kalkutta/Indien abgehalten. Von den etwa 4.500 Teilnehmern kamen die meisten aus Asien und Afrika. Die Wahl des Ortes trug der langen Präsenz mennonitischer Gemeinden in Indien Rechnung.
Mit der 14. Weltkonferenz in Bulawayo/Simbabwe (2003) wurde zum ersten Mal eine Konferenz in Afrika abgehalten. Erstmals fand im Zusammenhang mit einer Weltkonferenz auch ein Weltjugendgipfel statt. Zu weiteren Weltkonferenzen traf man sich 2009 in Asunción/Paraguay, 2015 in Harrisburg/USA und 2022 in Salatiga/Indonesien.
Über die Jahrzehnte hinweg entwickelte sich die Mennonitische Weltkonferenz von einem regelmäßigen Treffen zu einem weltweiten Netzwerk täuferischer Kirchen. Zu den Mitgliedern gehörten im Jahr 2023 108 nationale Kirchen der Mennoniten und Brüder in Christus aus 60 Ländern mit rund 2 Millionen getauften Gläubigen in ca. 17.600 Gemeinden. Etwa 84 % der Mennoniten leben in Afrika, Asien und Lateinamerika, 16 % sind in Europa und Nordamerika zu Hause. Die Mennoniten des Globalen Südens werden also das Gesicht der mennonitischen Gemeinschaft noch sehr viel stärker als bisher prägen. 2006 verabschiedete die Mitgliederversammlung der Mennonitischen Weltkonferenz ein Dokument, das die gemeinsamen Überzeugungen mennonitischer Gemeinden auf der ganzen Welt zusammenfasst (hier nachlesen: Gemeinsame Überzeugungen täuferischer Gemeinden weltweit – Mennonite World Conference).

Literatur:
Larry Miller: Die Mennonitische Welt (-konferenz): eine wachsende Glaubensgemeinschaft, in: Fernando Enns (Hg.): Mennoniten, Die Kirchen der Gegenwart 8 (Bensheimer Hefte 119), Göttingen 2025, S. 218-228
Das Foto entstand während der 8. Mennonitischen Weltkonferenz in Amsterdam. Es zeigt eine junge Journalistin und eine Frau in der Tracht der Lancaster Old-Mennonites – unvereinbare Gegensätze?