Care-Paket mit Inhalt

„Bewusst schädigend?“
Wie C.A.R.E.-Pakete nach 1945 Not lindern sollten und selbst zu Notlagen führten

1945, nach dem Krieg, war die Not in Deutschland groß. Durch Regierungsprogramme der USA, besonders aber auch durch das Mennonite Central Committee (MCC) in Nordamerika kam Hilfe. C.A.R.E.-Pakete1 mit Lebensmitteln und Kleidung wurden geschickt und verteilt. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ, ab 1949 DDR) war die Versorgungslage noch schwieriger als im Westen. Bei einer Besprechung auf dem Thomashof, einem mennonitischen Bibelheim bei Karlsruhe, wurde über die Lage der mennonitischen Flüchtlinge in der SBZ informiert. In der Monatszeitschrift „Junge Gemeinde“ wurde dazu aufgerufen, Pakete und Briefe nach Ostdeutschland zu schicken. In der Mennonitengemeinde Kohlhof bei Limburgerhof waren die Kinder der Sonntagsschule mit ihrer Betreuerin Gertrud Schmutz bereit, mit ihrem „Opfergeld“ die Menschen in der „Ostzone“ zu unterstützen. So besorgte sich Gertrud Schmutz die Adresse von Gertrud Eck in Rabensteinfeld bei Schwerin, die zur Mecklenburger Mennoniten-Gruppe gehörte. Seelsorgerlich betreut wurde die Mecklenburger Gruppe von 1948 bis Oktober 1950 von Prediger Hermann Dueck, der als Flüchtling aus der ehemaligen westpreußischen Mennonitengemeinde Rosenort gekommen war und sich dann in Mecklenburg-Vorpommern als Neubauer ansiedelte.

Da die Mecklenburger Gruppe organisatorisch zur Berliner Mennoniten-Gemeinde gehörte, reiste Hermann Dueck öfter nach Berlin. Einmal nahm er auf dem Rückweg C.A.R.E.-Pakete für Mitglieder seiner Gemeindegruppe mit. Die Zugpolizei entdeckte die Pakete und übergab Dueck mitsamt der Pakete der Kreispolizei in Schwerin. Die vom Hilfswerk der Berliner Mennoniten-Gemeinde ausgestellte Bescheinigung, dass es sich um Liebesgaben handele, wurde nur für diejenigen Lebensmittel akzeptiert, die Hermann Dueck persönlich zugedacht waren, denn „Die Verteilung von Liebesgaben an Ostzonenbewohner liege allein in der Hand der Volkssolidarität“.

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„Nun interessieren sich die Schweriner Behörden für die Mennoniten“, berichtete ein Mitglied der Gruppe nach Berlin. „In den letzten Tagen ist die Polizei bei Frau Schröder in der Wohnung gewesen und hat sich erklären lassen, was die Mennoniten sind. Die Polizei wollte auch noch weitere Anschriften von Mennoniten haben und Frau Schröder hat ihnen diese auch bekanntgegeben“. Frieda Schröder, die die Mecklenburger Gruppe leitete, bat die Kriminalpolizei nun um die Herausgabe des Hilfspaketes. Das wurde ihr mit dem Hinweis: „Da stimmt etwas nicht“ verweigert.

Die Vermutung, dass die Mennoniten im Osten nun unter besonderer Beobachtung standen, war richtig. Denn nicht nur in Schwerin, sondern auch im Ostsektor von Berlin bekamen Mitglieder der Mennonitengemeinde Besuch von der Geheimpolizei. Erich Claassen berichtete: „Am 31.1. 1951 erhielt ich eine Anfrage vom Polizeipräsidenten wegen der im Osten bestehenden Mennonitengemeinden, auf die ich antwortete, dass es im Osten keine Mennonitengemeinde gibt. Daraufhin suchten mich am 2.2. 1951 zwei Beamte von der Geheimpolizei in meiner Wohnung auf und verhörten mich dort zwei Stunden. Sie fragten, ob die Mennonitengemeinde von Amerikanern gegründet worden sei und diese einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Gemeinde hätten und ihnen Unterstützung zuteil werden liessen. Die Beamten wiesen darauf hin, dass die Mitglieder der Mennonitengemeinden infolge dieses amerikanischen Einflusses als Spione angesehen werden müssten.“ Darauf erklärte ihnen Claassen, dass die Mennoniten im 16. Jahrhundert vom katholischen Prediger Menno Simons gegründet worden seien. „Irgendeine Abhängigkeit von Amerika bestehe nicht, die Mennoniten seien vollkommen frei. Aus Amerika selbst seien Pakete nur in verhältnismäßig geringer Zahl eingegangen, die Hauptunterstützung komme von den süddeutschen Mennoniten.“ Er schloss seinen Bericht mit den Worten: „Die beiden Beamten, die zuerst sehr frostig waren, schieden durchaus freundlich von mir und ich habe seitdem von der ganzen Sache nicht weiter gehört.“

Kurze Zeit später, im Sommer 1951, sollte das Paket der Kohlhöfer Sonntagsschulkinder zur Mecklenburger Gruppe der Mennonitengemeinde Berlin geschickt werden. Gertrud Schmutz kündigte die Ankunft des Paketes in einem Brief an ihre Kontaktperson, Gertrud Eck, an. Der Brief samt vorausgeschickter Postkarte wurde jedoch von der Volkspolizei abgefangen und an das Ministerium des Innern weitergeleitet. 

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Dort hatte man sich bereits intensiv mit den Mennoniten auseinandergesetzt. Auf Betreiben von Erich Lust, Chefinspektor der Volkspolizei, sollte den Mennoniten der Status einer erlaubten Religionsgemeinschaft entzogen werden – und das, obwohl sie erst kurz vorher, im März 1951, durch eine Rundverfügung des Ministeriums des Innern als „sonstige Religionsgemeinschaft“ zugelassen worden waren. In einem Schreiben von Erich Lust an den Staatssekretär des Innern, Johannes Warnke, vom 23. August 1951 heißt es warnend: „Die Tätigkeit dieser Sekte und der illegale Abzug von Mitgliedern nach Westdeutschland und Kanada zeigen, daß es sich hier um eine Vereinigung handelt, die bewußt schädigend gegen die DDR und somit gegen die bestehende antifaschistisch-demokratische Ordnung vorgeht. Die Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei hält es für dringend erforderlich, die Tätigkeit dieser Sekte im Gebiet der DDR zu verbieten, damit ein weiteres schändliches Handeln für die Zukunft unterbunden wird.“

Zwar plädierte der Hauptabteilungsleiter Staatliche Verwaltung im Ministerium des Innern, Klaus Sorgenicht, ebenfalls dafür, „die Gemeinschaft aus der Liste der erlaubten Gemeinschaften zu streichen und zu verbieten“, doch er empfahl Rücksprache mit Otto Nuschke, dem Vorsitzenden der Ost-CDU, zu halten, der für die Verbindungen zu den Kirchen bei der Regierungskanzlei der DDR zuständig und stellvertretender Ministerpräsident war. Das brachte die Wende. Nach einigem Hin und Her wurde der Verbotsentwurf letztlich vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl nicht unterschrieben. Die Mennoniten in der DDR blieben eine zugelassene Religionsgemeinschaft.

Ob das C.A.R.E.-Paket der Kohlhöfer Kindergruppe jemals bei Gertrud Eck angekommen ist, konnte bisher nicht geklärt werden.

Nach einem Aufsatz von Bernhard Thiessen

1 C.A.R.E. (Cooperative for American Remittances to Europe)

Literatur:

Imanuel Baumann: Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war. Bemerkungen zu einem Fund staatlicher Dokumente aus den Jahren 1951 und 1952, in: Mennonitische Geschichtsblätter 73. JG, Weierhof 2016, S. 61 – 79

Website: Mennoniten in der DDR – Ein Projekt von Bernhard Thiessen

Trailer zur Ausstellung „Leben in Grenzen – Mennoniten in der SBZ und der DDR 1945-1990“: https://youtu.be/-AQV8gXQHn4

Katalog zur Ausstellung: Bernhard Thiessen (Hg.): Mennoniten in der DDR: Leben in Grenzen. Die Mennoniten in der SBZ und der DDR von 1945 bis 1990. Schriftenreihe des Mennonitischen Geschichtsvereins 12, Bolanden-Weierhof 2020